Auf Lydias Besprechung von „Mit Schreiben zu neuer Lebenskraft“ aus der letzten Woche, folgt heute ein berührender Text, mit dem sie sich mit der veränderten Lebenssituation nach ihrer Erkrankung auseinandersetzt.
Eine Melodie des Lebens, leise, melancholisch, dann wieder kräftig und hoffnungsfroh. Wandlungsvoll, wie eine Symphonie von Gustav Mahler.
Lydia würde sich freuen, Menschen mit schweren Erkrankungen mit ihrem Text zu inspirieren. Zum Schreiben, Musizieren und allem, was die Seele erfreut. Nur Mut, auch Lydia hat ihre Schreibstimme erst durch ihre Schreibversuche entdeckt. Dieser Beitrag markiert einen weiteren Schritt: sie hat den „Brief an meinen Körper“ bei einem Schreibwettbewerb eingereicht. Meine Daumen sind ganz fest für einen Preis gedrückt!
BRIEF AN MEINEN KÖRPER
Hallo Körper,
ich bin es wieder, die Seele. Nachdem du mich gezwungen hast, mit dir in Kontakt zu treten und auch in Kontakt zu bleiben, möchte ich heute folgendes Thema mit dir besprechen:
Die Melodie meines Lebens
Ich weiß, es war falsch dich zu ignorieren. Ich weiß, es war falsch die Melodie auf dem Klavier des Lebens ganz allein zu spielen. Ich habe diese Aufgabe einfach so gern erfüllt, dass ich dein Wehklagen nicht vernommen habe. Ich war so abgelenkt, so konzentriert, so voller Ehrgeiz. Es hat Spaß gemacht zu spielen, ich war so glücklich, dass ich um mich herum alles vergessen habe. Ich dachte alles läuft gut, ich dachte ich kann es für uns beide erledigen und alle sind zufrieden.
Du hast mir auf deine Art gezeigt, dass wir zusammen besser funktionieren. Du hast mir gezeigt, wer tatsächlich der Stärkere ist von uns beiden. Ich habe es auch wirklich verstanden. Vielleicht kann ich mich sogar mit der Zeit daran gewöhnen, nun jederzeit im Duett zu spielen, dir vielleicht auch einmal den Vorrang zu lassen, dir einen kurzen Soloauftritt von Herzen zu gönnen.
Womit ich noch nicht so richtig zurechtkomme, ist folgendes: Du hast das Klavier umgestimmt – ein anderer Klang, eine andere Lautstärke, eine andere Melodie. Die Töne klingen einfach so anders als früher.
Mit der Zeit werde ich damit zurechtkommen. Daran glaube ich ganz fest.
Doch ich verstehe nicht, warum du einige Tasten zerstören musstest. So demoliert, dass sie nicht mehr zu reparieren sind. So viele herrliche Melodien sind nun für immer dahin! Ja, sicher kann man andere Melodien finden, das werden wir auch. Aber wie oft sitze ich da und vermisse die Leichtigkeit vergangener Tage. Die Unbeschwertheit der Melodie meines Lebens. Es hörte sich allzeit so fröhlich an, so laute, anregende und vor Kraft strotzende Stücke!
Die neue Melodie, unser Duett, welches leiser klingt, dumpfer, und immer noch fremd, ich werde mich damit abfinden. Doch vermisse ich den alten Klang.
Und doch weiß ich auch, ganz tief in meinem Inneren, warum du es tun musstest. Du kennst mich einfach zu gut. Du kennst mich am besten. Du weißt, hätte sich die Situation wieder normalisiert, hätte ich das Klavier erneut an mich gerissen, ohne Rücksicht auf dich zu nehmen.
Nun, mit den defekten Tasten, zwingst du mich im Duett zu spielen, zwingst du mich dazu, mich mit dir zu arrangieren, du zwingst mich dazu, dich als gleichwertigen Partner, im Spiel der Melodie meines Lebens, wahrzunehmen.
Wir werden zusammen noch Großes erreichen. Du bist nicht nachtragend, irgendwann werde ich den Klang früherer Melodien nicht mehr ganz so schmerzlich vermissen, es werden Erinnerungen sein. Wunderschöne Erinnerungen, ich werde dankbar sein, dass ich sie hören durfte. Lass mich noch ein bisschen trauern, ich muss sie verabschieden, um mich danach voll auf dich, auf das neue Kapitel, auf die neue Melodie, einlassen zu können.
Ich schreibe dir bald wieder, deine Seele