Wir alle kennen Ängste. Sie sind unangenehm, grundsätzlich jedoch
eine hilfreiche Warnung von Gefahren. Doch was die Evolution uns als Schutz mit
auf den Weg gegeben hat – ein unwillkürlich ablaufendes Programm des
vegetativen Nervensystems, das uns die schnelle Flucht vor dem Säbelzahntiger
ermöglichen soll – kann sich unter ungünstigen Umständen gegen uns wenden.
Taucht eine Angst in grundsätzlich harmlosen Situationen auf und verursacht
körperliche Symptome wie Herzrasen, Schweißausbrüche, Übelkeit sowie die Befürchtung,
die Kontrolle über den Körper zu verlieren, wird es ernst. Spinnenphobien,
Prüfungs- oder Zahnarztangst, beklemmende Gefühle beim Aufzug fahren – solange
sich solche Gefühle durch
Vermeidungsstrategien im Zaum halten lassen, bleibt alles im grünen Bereich.
Doch wenn dieser Schutzwall fällt, die „Angst vor der Angst“ übernimmt,
wird es kritisch. Dann ist die Gefahr groß, in eine Spirale zu geraten, aus der
ohne Hilfe kaum herauszufinden ist.
Rund 15% aller Deutschen entwickeln im Laufe ihres Lebens eine Angststörung. Aus Scham wird darüber geschwiegen, denn die Betroffenen wissen ja, dass es für ihre Gefühle eigentlich keinen objektiven Grund gibt. Mehr und mehr ziehen sie sich aus dem Leben zurück, verlieren soziale Kontakte und Lebensfreude. Auf den Gedanken, hinter ihren Ängsten könnten biografisch bedingte Auslöser stecken, kommen die Wenigsten.
Eindringlich, wie aus dem Lehrbuch gegriffen, doch gleichzeitig in einem authentisch-lebendigen Tonfall, erzählt Sarah Peters in „Das Außen bleibt Draußen“, wie eine Angststörung ihr nach und nach Selbstvertrauen und Lebenskraft raubte. Vier Jahre lang lebte sie in selbstverordneter „Einzelhaft“ in ihrer Wohnung, mit der Außenwelt nur noch über ihren Freund, Telefon und Internet verbunden. Wie eine doppelte Metamorphose liest sich Sarahs Entwicklung von einer energischen, lebenslustigen jungen Frau zu einer scheuen Person, die sich vor dem Paketboden im Schlafzimmer versteckt und wieder zurück zu einer Frau, die ihr Leben in die Hand nimmt. Mit nur wenige Sitzungen bei einem Hypnotherapeuten gelang es ihr, ihre Ängste nach und nach hinter sich zu lassen. Begeistert von der Wirkung ihrer Hypnotherapie, ließ sie sich selbst zur Hypnotherapeutin ausbilden und betreibt inzwischen eine erfolgreiche Praxis.
Sarahs Geschichte und ihr Buch haben mich so
fasziniert, dass ich sie um ein Interview gebeten habe.
Als Schreibtherapeutin hat mich natürlich besonders interessiert, wie es sich
angefühlt hat, dieses sehr persönliche, für Betroffene so ermutigende Buch zu
schreiben. Aus Erfahrung weiß ich, dass es ein Unterschied ist, ob man von
einer tiefgreifenden Erfahrung erzählt, oder sie niederschreibt, denn
schreibend gelangt man sehr schnell an tiefe Bewusstseinsschichten. Und
natürlich wollte ich wissen, ob sie auch schon geschrieben hat, als sie das
Haus nicht verließ. Stil und Tonalität ließen mich vermuten, auf eine erfahrene
Schreiberin zu stoßen.
Doch lesen sie selbst. ?
Interview mit Sarah Peters
JM: Sarah, der Weg, den du bei der Befreiung aus der Angststörung zurückgelegt hast, hat mich sehr beeindruckt. Wie hat es auf dich gewirkt, deine Biografie und deine Erlebnisse noch einmal schriftlich zu rekapitulieren?
SP: Das war ein sehr intensiver, emotionaler Prozess. Als ich mit dem Schreiben begann, war ich eigentlich schon emotional sehr gefestigt, aber dennoch war es eine neue Erfahrung. Beim Schreiben tauchten nochmal blinde Flecken auf und es dauerte, um an die damit verbundenen Gefühle heranzukommen. Manchmal hatte ich beim Schreiben das Gefühl „Sarah, was machst du da?“, denn es ist ja nicht nur die Konfrontation mit den eigenen Gefühlen, sondern auch die Tatsache, dass man sich vor seinen Lesern nackt macht. Mir hat es sehr geholfen, den Schreibprozess mit einer Supervision zu unterstützen. Ganz ehrlich: Hätte ich mein Ziel nicht so klar vor Augen gehabt, wäre ich manchmal versucht gewesen, es zu lassen. Aber genau so ein Buch hätte ich gebraucht, als ich in meiner Angststörung feststeckte. Ich wollte es unbedingt schreiben, um Anderen Mut zu machen.
JM: Hattest du Erfahrungen mit dem Schreiben, ehe du dein Buch geschrieben hast? Hast du beispielsweise früher ein Tagebuch geführt?
SP: Nein, nie! Ich hatte überhaupt keine Schreiberfahrung. Und es hat mich total überrascht, was beim Schreiben passiert. Wie tief man an seine Themen herankommt. Man schreibt sich in eine Art Trance, die der Hypnose ein Stück weit ähnlich ist.
JM: Meinst du, es hätte dir geholfen, wenn du während der Zeit geschrieben hättest, als du das Haus nicht verlassen hast?
SP: Auf keinen Fall! Ich war ja voll im Verdrängungs-Modus. Hätte ich geschrieben, hätte ich mich ja auseinandersetzen müssen. Das hätte mir nur mein eigenes Leid mehr vor Augen geführt. Zu viel Auseinandersetzung hätte mich überfordert.
JM: Kannst du dir jetzt vorstellen, dass Schreiben deinen Patienten therapiebegleitend helfen könnte? Sich beispielsweise ihren „sicheren Ort“ schreibend zu erweitern und sich dort mit ihren Empfindungen auseinanderzu- setzen?
SP: Auf jeden Fall. Besonders für Menschen, die nicht so einen guten Zugang zu sich und ihren Gefühlen haben, kann ich mir das als gute Hilfe vorstellen. Für Menschen mit einem stark ausgeprägten Verdrängungsmechanismus kann ich mir das inzwischen auch unterstützend gut vorstellen, besonders dann, wenn das Schreiben lösungsorientiert eingesetzt wird. Ich glaube sowieso, jeder muss für sich die passende Therapieform finden und es ist immer gut, wenn man als Therapeutin Alternativen und zusätzliche Verfahren anzubieten hat. Darum bilde ich mich selbst auch konsequent weiter.
JM: Was für ein Gefühl war es, das fertige Buch in den Händen zu halten?
SP: Es war sehr emotional. Sehr unwirklich. Ich kann es noch kaum glauben, denn es war so ein intensiver Prozess vom Schreiben bis zum 1. Covervorschlag. Als es endlich fertig war, ist das schon ein sehr berührender Moment gewesen.
JM: Wie geht es jetzt weiter, gehst du mit dem Buch auf Tour? Ich finde, viele Menschen sollten es lesen, sowohl um zu sehen, dass sie mit ihren Ängsten nicht allein sind, als auch, um für das Thema insgesamt zu sensibilisieren. Mir scheint, gerade soziale Ängste nehmen immer mehr zu.
SP: Ja, den Eindruck habe ich auch. Ob ich auf Tour gehe, weiß ich noch nicht. Ich habe ja meine Praxis und bin da gut ausgebucht. Es gab kürzlich einen Auftritt im Frühstücksfernsehen und es stehen noch eine ganze Reihe Presseanfragen an. Was genau passieren wird, ist noch offen.
JM: Viel Erfolg dabei und herzlichen Dank für das Gespräch.