Sie informieren, sind aktive Leseförderer mit profunden Literaturkenntnissen und
Gesprächspartner*innen in angstmachenden Situationen: die Mitarbeiter*innen der 220 Patientenbibliotheken an Deutschlands Krankenhäusern.
Ende Juni trafen sich 40 Haupt- und Nebenbeschäftigte sowie einige engagierte Freiwillige zum Bundestreffen der Patientenbibliotheken in der Dornröschenstadt Hofgeismar bei Kassel. Dort ging es neben einem intensiven Erfahrungsaustausch um die Entwicklung neuer Konzepte, um die Bedeutung ihrer Arbeit im Mikrokosmos Krankenhaus sichtbarer zu machen.
Was die Mitarbeiter*innen dieser Einrichtungen schon jetzt alles leisten, ist – so ergab eine Blitzumfrage in meinem Bekanntenkreis – relativ unbekannt, denn für aufmerksamkeitsstarke Öffentlichkeitsarbeit fehlt meist die Zeit. In der Regel ist die Personaldecke eng gestrickt. Besonders in kirchlichen Krankenhäusern wird viel auf Freiwilligenarbeit zurückgegriffen.
Soziale Teilhabe – nicht nur für Gern- und Vielleser
Mit einem kostenfreien Sortiment für alle Altersklassen, Büchern in leichter Sprache und/oder mit großer Schrift, tragen die Krankenhausbibliotheken ein Stück zur sozialen Teilhabe bei, die unabhängig ist von Sozialstatus, Herkunft oder Einschränkungen. Gut ausgestattete Bibliotheken verleihen sogar vorinstallierte Lesegeräte, die Schmökern auch dann ermöglichen, wenn der Bettnachbar gern schlafen möchte. Für Nichtleser*innen gibt es Filme, Hörbücher und elektronische Spiele. Zwischen 1000 und 8000 Medieneinheiten bewegen sich die Bestände, große Kliniken verfügen über Bibliotheken mit bis zu 16.000 Medieneinheiten. Jetzt geht es den engagierten Bibliothekaren darum, die Bibliotheken als „Dritten Ort“ im Klinikkosmos zu profilieren.
Dritter Ort?
Dieser Begriff, erklärte mir Gundula Wiedemann, Kongress-Organisatorin und Leiterin der Patientenbibliothek im Charité Campus Benjamin Franklin, stamme aus den ländlichen Regionen der USA. Dort sei das Zentrum des sozialen Lebens vielfach im Dreieck von Kirche, Mall und Bibliothek angesiedelt. Und als „soziale Zentren“ verstehen sich die Patentenbibliotheken mit ihrem Anspruch, den technischen Abläufen des Krankenhausalltags eine humane Komponente hinzuzufügen. Gerade vor anstehenden Operationen sind es oft die Bibliothekar*innen, die ein offenes Ohr für Ängste und Sorgen haben, denn das Pflegepersonal steht, bedingt durch veränderte Organisationsstrukturen, unter ständigem Zeitdruck. Da tut es gut einen Rückzugsort aufzusuchen, in dem die Uhren langsamer ticken.
Durch die Lektüre können die Patient*innen der Krankenhausrealität für eine Weile entfliehen. Schon seit dem Mittelalter ist bekannt: Lesen beruhigt. Bücher ermöglichen Reisen in andere Welten, entfachen ein kreatives Kopfkino und enthalten die Kraft und Magie, lebensbejahende Impulse auszulösen. Umso wichtiger sind kompetente, empathische Ansprechpartner, die das richtige Buch zur richtigen Zeit in die passenden Hände legen können.
Da geht noch was
Rund um die Entwicklung eines Positionspapiers 2.0 sammelten die Tagungsteilnehmer*innen in Hofgeismar Ideen, wie man die „Dritten Orte“ noch attraktiver machen könnte. Mehr Dialog, mehr Austausch, mehr aktive Leseförderung und Schutzräumen für Menschen am Rande der Gesellschaft, lautet die Devise. Neue Angebot sind nicht zuletzt wichtig, um die Institution Patientenbiliothek vor Einsparungen zu bewahren. Aspekte wie die kürzere Verweildauer von Patienten auf den Stationen sowie der globale Trend, Kliniken unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu führen, bedrohen die Existenz dieser wichtigen Orte. Daher rücken Bibliothekare auf internationaler Ebne näher zusammen und tauschen sich in Sachen Konzeption aus. Ideen gibt es viele, angefangen bei der Bandbreite des Angebots – ein Kanon aus Freizeitlesestoff, Gesundheitsinformationen, Fachbüchern und digitalen Medien – über Dienstleistungen wie Bücherlieferungen für Patienten, die ambulant zuhause betreut werden (gibt es bereits in München) bis hin zu Gruppenangeboten für das Pflegepersonal.
Beispiel Klinikum Benjamin Franklin
Mit Autorenlesungen und demnächst mit regelmäßigen Schreibworkshops zur Burnoutprophylaxe für Mitarbeiter*innen der Psychiatrie, liegt Gundula Wiedemann mit ihrem Angebot im Klinikum Benjamin Franklin schon weit vorne.
Nach einem erfolgreichen Schnupperworkshop für Patient*innen und Krankenhauspersonal aus allen Bereichen, hatte sie Susanne Diehm und mich eingeladen, um den Tagungsteilnehmer*innen unser Konzept des Gesundheitsfördernden Kreativen Schreibens (GKS) vorzustellen. Gruppenangebote in Bibliotheken sind unaufwändig zu organisieren und eine innovative Methode, um den „Dritte Ort“ um einen lebendigen Austausch zwischen den verschiedenen Gruppen des Mikrokosmos Krankenhaus zu bereichern.
Wie das Gesundheitsfördernde Kreative Schreiben eingesetzt werden kann und wie es wirkt, konnten die Teilnehmer*innen in Hofgeismar im Selbstversuch probieren. Aufgeteilt in zwei große Gruppen erklärten wir die Prinzipien unserer Arbeit anhand von Schreibimpulsen zum Thema „Lesen und Lesebiografie“. Einmal mehr durften wir uns über großes Interesse und positive Rückmeldungen freuen. Es ist immer wieder schönes zu erleben, wieviel Freude selbst verfasste Texte den Schreibenden machen und wie überrascht sie von ihren eigenen Fähigkeiten sind.
Für alle, die tiefer ins Thema einsteigen möchten, empfahlen wir unsere Fortbildungen, die zu unterschiedlichen Zeiten in Berlin stattfinden. Kurzentschlossene können sich noch bis spätestens 15. Juli 2019 zu meinem Einsteiger-Zertifikatskurs GKS I vom 23.-25. August anmelden, der Folgekurs, in dem es schwerpunktmäßig um Zielgruppenfindung und Selbstmarketing geht, findet
vom 20.-22. September 2019 statt.