„Babystunde“ in der Philharmonie

Das sieht man selten in den heiligen Hallen der Charité: Junge Eltern mit Babys auf dem Arm, im Tragegurt oder im Maxi-Cosi. Kleinkinder, die andächtig der Musik lauschen, spontan tanzen oder die Räumlichkeiten mit großen Augen erkunden.
Und doch ging es erstaunlich leise und entspannt zu im Foyer der Philharmonie, wo am Samstag eingerahmt  von den zauberhaften Klängen der Goldberg Variationen, die ersten Ergebnisse des Gemeinschafts-Pilotprojektes „Kreativität in der Schwangerschaft“ vorgestellt wurden.
Initiiert von Prof. Birgit Arabin, Gründerin der Clara-Angela Foundation, haben Ärzt:innen der Frauenklinik  Vivantes Friedrichshain und dem Institut für Medizinische Psychologie der Charité im Rahmen dieses Forschungsprojektes untersucht, wie sich der Stresslevel von Schwangeren durch kreative Aktivitäten senken lässt.

Wie die Ergebnisse zeigen spielt es dabei keine Rolle, ob „nur“ ein Konzert besucht wird oder ob singen, tanzen, schreiben und modellieren als Möglichkeit gewählt werden, sich selbst etwas Gutes zu tun. In der Studie schneidet das Singen am besten ab, dicht gefolgt vom akustischen Genuss. Allerdings waren das auch die Angebote mit den meisten Terminen, was die Ergebnisse beeinflusst haben mag, da dort die meisten Daten zur Ermittlung des Cortisol-Status erhoben wurden.

Durch die Kooperation mit den Berliner Philharmonikern wurde für die Pilotstudie ein größeres Gewicht auf die musikalischen Angebote gelegt. Dennoch zeigen auch die Ergebnisse der „kleinen Workshops“, dass Kreativität die Widerstandsfähigkeit boostert.

Prof. Sonja Entringer, verantwortlich für die psychologische Begleitforschung, erläuterte eindrucksvoll, warum es wichtig ist, Schwangeren und damit auch den Ungeborenen, Möglichkeiten zu geben, Stress abzubauen. Denn wenn sich während der ersten zwei bis drei Trimester der Schwangerschaft das Gehirn entwickelt, ist der Fötus besonders anfällig für Stress. 20-30 Prozent des Cortisols der Mutter kommt durch die Nabelschnur beim Fötus an. Als Folge verschlechtert sich die Neuroplastizität des Gehirns, was sich auf Anpassungs- und Lernprozesse niederschlägt. Darüber hinaus wird das Immunsystem geschwächt. Durch die Speichelproben im Rahmen des Projektes konnte nachgewiesen werden, dass sich nach den musikalischen Interventionen ein Cortisolabfall von durchschnittlich 15% zeigt! Ferner zeigte sich bei allen kreativen Interventionen, dass positive Empfindungen verstärkt und negative geschwächt wurden. Gleichzeitig wurde eine verstärkte Ausschüttung von Oxycotin nachgewiesen, einem bindungsfördernden und schmerzstillenden Hormon. Dieses Ergebnis hängt mit der Erfahrung zusammen, dass die Interventionen in einem hochempathischen Klima stattfanden. Dieses Ergebnis passt zu einem bereits gesicherten Wissenschaftsbefund, nachdem menschliche Beziehungen die Resilienz fördern und damit ebenfalls den Stress reduzieren.
Die Ergebnisse der Pilotstudie sind ermutigend. Ende des Jahres soll sie mit einer größeren Grundgesamtheit, d.h. einer Anzahl von Teilnehmer:innen, die repräsentative Aussagen ermöglichen, fortgesetzt werden. Ich hoffe sehr darauf, auch wieder mit dem Schreiben dabei zu sein, denn je mehr wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit für Schreibinterventionen vorliegen, desto besser werden die Chancen, dass Schreibtherapie irgendwann auch auf Rezept zu haben ist.

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