VON RATTENBEKÄMPFUNG, ERDBEBEN, CHEMISCHEN KAMPFSTOFFEN, LIEBE UND LEBENSFREUDE BEIM UMGANG MIT UNGEBETENEN GÄSTEN

Puzzlestücke aus dem GKS-Schnupperworkshop beim 4. Bundestreffen Eierstockkrebs in München

 

Auf Einladung der Initiatorinnen des 4. Bundestreffen Eierstockkrebs, Andrea Krull und Brita Jung, durften wir am vergangenen Wochenende das umfangreiche Programm dieses beeindruckenden Selbsthilfekongresses mit einer „kleinen Schreibtour“ ergänzen. „Klein“ insofern, als das Programm unserer „normalen“ Schreibtouren komplett durch das medizinische und kreative Programm der Stiftung Eierstockkrebs bestritten wird, während wir Berliner diesmal „nur“ mit drei Programmpunkten von der Partie waren.

Meine Kollegin Susanne Diehm hat in ihrem aktuellen Blogbeitrag über die Veranstaltung insgesamt berichtet, an dieser Stelle möchte ich ein Schlaglicht auf den Kreativteil setzen.

Den Auftakt machte Dr. Adak Pirmorady, die Illustratorin unseres Buches „Mit Schreiben zur neuen Lebenskraft“ am Freitag mit ihrem Vortrag zur Wirkung von Kreativtherapien. Dr. Pirmorady ist als Ärztin in einer psychosomatischen Praxis tätig und macht sich als psychoanalytische Kulturwissenschaftlerin für den vermehrten Einsatz kreativer Therapien in der Medizin stark.

Kreativer Selbstausdruck wirkt therapeutisch
In ihrem Vortrag spannte sie den Bogen vom menschlichen Grundbedürfnis nach kreativem Selbstausdruck über neuronale Prozesse bis hin zu speziellen Benefits für Menschen mit Tumorerkrankungen: auch wenn die Forschung noch in vollem Gange ist, kann man bislang gesichert davon ausgehen, dass

  • kreatives Tun bei der Krankheitsverarbeitung unterstützt
  • zur Verringerung von Symptomen wie Fatigue und Schmerzen beitragen kann
  • eine hilfreiche Möglichkeit zur Integration der Krankheit in die Lebensgeschichte darstellt.

Ob Singen, malen, tanzen oder schreiben der richtige Ansatz ist, muss jeder Patient für sich herausfinden. Wichtig ist, dass es passt und hilft, die Lebensfreude und Widerstandskraft zu unterstützen. Als Team SUDIJUMI unterstützen Susanne Diehm und ich kranke wie gesunde Menschen mit dem Inventar des von uns entwickelten Gesundheitsfördernden Kreativen Schreibens.

Der Krebs als ungebetener Gast
Die Initiatorinnen hatten uns in der altehrwürdigen Studentenbibliothek der Frauenklinik untergebracht, einem Raum mit einer konzentriert-anheimelnden Atmosphäre, die auch dazu beitrug, dass sich ganz schnell ein offenes, lebhaftes und vor allem empathisches Gruppengeschehen entwickelte.

Das machte es leicht, nach zwei kleinen Aufwärmübungen eine tiefer gehende Übung aus unserem Übungsbuch vorzustellen, den „ungebetenen Gast“. Der Schreibimpuls dazu:

Stellen Sie sich den den Krebs als ein Wesen oder eine Person vor, die sich uneingeladen in Ihrem Haus einnistet und nicht abgewiesen werden kann. Wie reagieren Sie darauf? Welche Empfindungen steigen auf? Was geschieht körperlich bei dieser Vorstellung? Gibt es Möglichkeiten, sich mit diesem „Gast“ zu arrangieren, ohne zu viel von sich selbst aufzugeben? Können sich vielleicht sogar tragfähige Arrangements finden lassen?

Nach einem kurzen Schreckmoment huschten die Stifte blitzschnell über das Papier und wie so oft entstand eine knisternd-flirrende Atmosphäre. Wieder einmal wurden innerhalb von wenigen Minuten bewegende, kraft- und humorvolle Texte verfasst, mit denen sich besonders jene Teilnehmerinnen selbst überraschten, die anschließend berichteten, sie seien widerwillig an die Aufgabe herangegangen. Oder mit der Befürchtung „sowas“ nicht zu können.

Leichtigkeit und Freude strategisch nutzen
„Mein Grundgefühl war Ekel“, sagte eine Teilnehmerin. „Und sofort hatte ich das Bild einer fetten, widerlichen Ratte mit langem Schwanz vor Augen und erinnerte mich an alle ekligen Geschichten, die ich jemals über Ratten gehört habe. Ratte nagt Säugling an und so“. Doch nach dem ersten Schock nahm sich die Ich-Erzählerin ein Herz, überwand ihre Angst, folgte der Ratte in die Küche, wo ihr Handy lag und rief das Ordnungsamt an, die das Problem beseitigte. Stolz, sich selbst überwunden zu haben und ein herzhaftes Lachen über den Sieg über die Ratte hatte das Grundgefühl abgelöst.

Eine andere Teilnehmerin konfrontierte den übergriffigen Eindringling zunächst mit einer gehörigen Ladung Wut, Beschimpfungen, forderte ihn zum Verschwinden auf und drohte mit dem Einsatz chemischer Kampfstoffe. Doch dann besann sie sich ganz anderer Waffen: liebevoller Gefühle und Lebenslust. „Ich will nämlich gar nicht kämpfen“ stellte sie fest, „das entspricht mir gar nicht. Lieber konzentriere ich mich auf das Gute“. Und das spürte sie sogar körperlich. Nach dem Schreiben hatte sich die anfängliche Verkrampfung im Rücken aufgelöst.

In einem anderen Text – die Autorin stammt aus Japan und lebt dort ständig mit der Bedrohung durch vernichtende Erdbeben – wurde der Gast mit dieser immerwährenden Bedrohung verglichen. “Man kann alles verlieren, weiß aber nie, wann es passieren wird und kann sich nicht vorbereiten“, schrieb sie. Und doch gibt es Wege mit der Bedrohung zu leben. In diesem Fall mit einer intensiven Achtsamkeit für die beglückenden Momente des Lebens und eine Wertschätzung für alles, was ist. Für einen Moment tauchte die gruppe tief ein in diese Gedankengänge, dankbar für den Perspektivwechsel aus einer Kultur, die das Leben mit Naturkatastrophen gewohnt ist.

Aber auch viel Humor, Glaube und „Bewegung in Körper und Kopf“ wurden in den Texten zum Einsatz gebracht, um das Zusammenleben mit dem ungebetenen Gast zu erleichtern. Und immer wieder Liebe. Plötzlich war trotz des schweren Themas eine Leichtigkeit im Raum, die durch den freudigen Umgang mit eigenen und fremden Texten und deren unterschiedlichen Perspektiven entstand.

Was uns besonders freute: es hatten sich einige Frauen in den Workshop getraut, die sich nicht als „klassische Schreiberinnen“ bezeichneten, oder sogar eine gewisse Furcht mitbrachten. Sei es, weil deutsch nicht ihre Muttersprache ist, sei es, weil sie sich für nicht talentiert hielten. Und wie jedes Mal, wenn Teilnehmer*innen sich dann doch einlassen, machten auch sie die Erfahrung, dass tief im Unbewussten eines jeden Menschen schöne Sätze, starke Metaphern und manchmal sogar poetische Schätze schlummern, die nur darauf warten, endlich wach geküsst zu werden.

Die Mehrheit der Teilnehmerinnen würde gerne unter fachkundiger Leitung in einer Gruppe weiterschreiben. Denn bei schweren Krankheiten ist es das Gruppenerlebnis, das besonders stärkt – ohne dass die Krankheit in den Texten thematisiert werden muss. Diese Erfahrungen machen wir auch immer wieder bei unseren monatlichen Schreibangeboten in der Charité. Mit unseren Fortbildungen für Multiplikatoren möchten wir dazu beitragen, möglichst viele Menschen die Wirkung des Gesundheitsfördernden Kreativen Schreibens nutzen können. Irgendwann werden hoffentlich auch die Krankenkassen einsehen, dass diese Kreativtherapie förderungswürdig ist und möglichst vielen Menschen zur Verfügung stehen sollte.

 

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